Massenproteste auf den Kanarischen Inseln richten sich gegen Overtourism – DW – 29.04.2024

Massenproteste auf den Kanarischen Inseln richten sich gegen Overtourism – DW – 29.04.2024 5 / 5 ( 3 votes )


Als der Journalist Toni Ferrera kürzlich Gran Canaria bereiste, lernte er Juan kennen. Der 53-Jährige lebt seit vielen Jahren in einer provisorischen Wellblechhütte, weil er sich keine Wohnung auf der Insel leisten kann. Er arbeitet als Bademeister in einem Hotelkomplex, verdient aber nur 1000 Euro im Monat. Seine Geschichte steht symbolisch für das, was auf den Kanarischen Inseln passiert”, sagte Ferrera der DW, der seit Jahren über regionale Themen berichtet.

Ferrera weist darauf hin, dass zwar „der Tourismus viele Arbeitsplätze schafft“, aber was für Arbeitsplätze seien das, wenn die Miete für eine Wohnung nicht einmal ausreiche?

Viele Menschen, die auf den Kanarischen Inseln leben und arbeiten, stehen dem Tourismus, der sich auf der Region entwickelt hat, kritisch gegenüber. Das wurde am vergangenen Wochenende deutlich, als rund 60.000 Menschen auf die Straße gingen, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Große Teile der Gesellschaft seien unzufrieden mit der Entwicklung, sagte Jose Miguel Martin, Leiter der Stiftung Fundacion Canaria Tamaimos, die den Protest mitorganisiert hatte. Besonders dramatisch sind die Entwicklungen seit dem Ende der Pandemie. Im Jahr 2023 kamen mehr als 16 Millionen Touristen auf die Kanarischen Inseln, so viele wie nie zuvor in der Region. Und bisher deuten die Daten für 2024 darauf hin, dass dieses Jahr dieser Rekord erneut gebrochen werden könnte.

Demonstranten marschieren am Strand entlang
Am vergangenen Wochenende machten zahlreiche Demonstranten ihrem Ärger über die Tourismusindustrie der Region Luft.Bild: Europa Press Canarias/dpa/picture alliance

Nur wenige Insulaner profitieren vom Tourismusboom

Die Tourismusbranche sei ein “riesiges Geschäft”, sagt Miguel Martin im DW-Interview. Im vergangenen Jahr gaben Urlauber auf den Kanaren mehr als 20 Milliarden Euro aus. Der Tourismus macht fast 40 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Region aus. Doch nichts von dem hier erwirtschafteten Reichtum komme den Insulanern zugute, behauptet Martin. Die Inselbewohner, so Martin, blieben mit “Verschwendung und anderen negativen Folgen” des Tourismus zurück.

Das Gesundheitssystem der Kanarischen Inseln, so Miguel Martin, sei enorm überlastet und die Straßen überfüllt. Obwohl der Tourismus boomt, können die meisten Inselbewohner nur gering qualifizierte Jobs in Hotels und Ferienwohnungen bekommen. Die durchschnittlichen Monatsgehälter gehören zu den niedrigsten in ganz Spanien und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Laut der Gewerkschaft Comisones Obreras ist jeder dritte Inselbewohner von Armut bedroht.

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist eines der dringendsten Probleme der Region. Es wurde durch das ungebremste Wachstum der Ferienvermietungen auf den Kanarischen Inseln in den letzten Jahren noch verschärft. Darüber hinaus sind laut Victor Martin, der auch an der Organisation des Protests vom vergangenen Wochenende beteiligt war, etwa ein Drittel aller Häuser auf den Kanarischen Inseln im Besitz von Ausländern und werden als Ferienhäuser genutzt. Die durchschnittlichen Mietpreise haben sich zwischen 2014 und 2024 verdoppelt.

Die jüngsten Demonstrationen richteten sich nicht gegen den Tourismus an sich, sagte Victor Martin. “Wir sind uns bewusst, dass der Tourismus auf den Kanarischen Inseln nicht plötzlich irrelevant werden wird.” Aber, fügte er hinzu, das Tourismusgewerbe müsse sich ändern.

Zahlreiche Menschen protestieren gegen ein Hotelbauprojekt neben einem Strand auf Teneriffa
Viele Einheimische meinen, die Region habe bereits mehr als genug HotelsBild: Mercedes Menendez/Pacific Press/Picture Alliance

In den vergangenen Monaten wurden die Bauarbeiten an zwei großen Tourismusprojekten auf Teneriffa wieder aufgenommen, nachdem die Arbeiten jahrelang gestoppt worden waren. Sechs Aktivisten hatten sogar einen Hungerstreik begonnen, um das Projekt zu stoppen. Doch ihre Bemühungen waren vergebens. Viele Demonstranten wollen nicht, dass die Tourismusbranche der Kanaren noch weiter wächst. Aktivisten wie Victor Martin fordern einen Stopp aller Bauprojekte, um genau zu analysieren, wie viel Tourismus die Region verträgt. Für ihn ist klar, dass der Sektor schrumpfen muss.

Weniger ist mehr

Auch der kanarische Hotelverband Ashotel sieht in der Tourismusbranche kein stetiges Wachstum. Ashotel-Geschäftsführer Juan Pablo González sagte der DW, man könne nicht jedes Jahr neue Besucherrekorde erwarten. “Das widerspricht den Interessen der Branche und der Inselbewohner”, so González.

Er fügte hinzu, dass die Branche darauf abzielen sollte, die Qualität der touristischen Angebote zu verbessern, um weniger, aber dafür zahlungskräftigere Besucher anzuziehen. Gonzalez sagte auch, dass die lokalen Politiker dafür sorgen sollten, dass die Einheimischen mehr als bisher vom Tourismus profitieren. Schließlich, so Gonzalez, generiert die Branche jedes Jahr rund 3,4 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. “Die Frage ist, ob dieses Geld effizient eingesetzt wird, um das Leben der Menschen zu verbessern.”

In Barcelona ist ein Graffiti gegen Touristen zu sehen.
Auch in anderen Teilen Spaniens, wie etwa in der beliebten Stadt Barcelona, ​​gab es lautstarke Bewegungen gegen den Tourismus.Bild: Marc Asensio/NurPhoto/picture alliance

Der Präsident der kanarischen Regionalregierung, Fernando Clavijo, hatte erklärt, er verstehe die Wut der Demonstranten. Er sagte den Medien, dass “wir nicht so weitermachen können wie bisher und dass es wichtig ist, dass wir die Richtung ändern”, machte jedoch keine konkreten Zusagen. Am Mittwoch stimmte das Parlament der Kanaren jedoch gegen viele der wichtigsten Forderungen der Demonstranten, darunter auch gegen die Einführung einer Kurtaxe, die andere Urlauber auf den spanischen Balearen und in der Region Katalonien bereits zahlen müssen.

Deshalb ist es wahrscheinlich, dass die Inselbewohner auch weiterhin auf die Straße gehen werden. Der Lokaljournalist Toni Ferrera glaubt nicht, dass die Protestbewegung so schnell nachlassen wird. “Die Demonstration am 20. April war erst der Anfang.”

Dieser Artikel wurde aus dem Deutschen übersetzt.



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